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Für Bäuerinnen und Bauern weltweit spielt der Ertrag eine wichtige Rolle. Sie fragen sich also: Wie viel Getreide oder Gemüse kann ich auf meinem Acker ernten? Damit sie sich und ihre Familien ernähren können, brauchen sie nicht unbedingt viel „Input“ in Form von Chemie, Kunstdünger, Wasser, teurem Hybridsaatgut oder gar Gentechnik – auch wenn Agrarkonzerne nicht müde werden, dies immer wieder zu betonen.
Bauern und Wissenschaftler in allen Regionen der Welt haben durch das Beobachten der Natur, Ausprobieren und stetiges Verbessern Anbaumethoden entwickelt, die aus wenig viel hervorbringen können. Diese Methoden haben eines gemeinsam: Sie machen sich das ausgeklügelte Zusammenspiel der Natur zunutze und setzen auf das optimale Gleichgewicht von Boden, Wasser, Pflanze, Luft, Mikroorganismen und anderen Lebewesen. So kann auf natürliche Weise das Wachstum der Pflanze begünstigt und Schädlinge oder Krankheiten von ihr abgehalten werden.
Wird die Ernte durch Insekten, Pilz- oder Virusinfektionen oder schlechte Wetterbedingungen zunichte gemacht, bedeutet dies für manche Landwirte hohe Verdienstausfälle – für andere sogar, dass sie und ihre Familien hungern müssen. Der Wunsch, Pflanzen so zu züchten und Anbaumethoden so zu entwickeln, dass sie gute und verlässliche Ernten sichern, ist daher so alt wie die Landwirtschaft selbst.
Der Ertrag wird meist auf den Hektar bezogen, das entspricht 10.000 Quadratmetern oder einer Fläche so groß wie eineinhalb Fußballfelder. Während es in reichen Ländern wie Deutschland immer größere Bauernhöfe gibt (2016 verfügten sie durchschnittlich über 60,5 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche1), gelten weltweit etwa 84% der Höfe als klein: Sie bewirtschaften weniger als 2 Hektar Land.2
Kurzer Rückblick: In den letzten Jahrzehnten hat sich die Menge, die auf einer bestimmten Fläche geerntet wird, stark erhöht. Möglich wurde das dadurch, dass Landwirte andere Mittel einsetzten und anders arbeiteten – diese Veränderung wird heute „Grüne Revolution“ genannt. Durch den Einsatz von Hochleistungssaatgut und großen Mengen an künstlich hergestelltem Dünger, die Verwendung von Ackergiften (Pestiziden) zur Abwehr von Insekten, Pilzkrankheiten oder Unkraut und durch künstliche Bewässerung nahmen die Erträge zu. Doch vielerorts zahlten Menschen und Umwelt dafür einen hohen Preis – auch heute noch: Die Pestizide belasten Gewässer und töten nützliche Insekten und Bodenlebewesen, während der Kunstdünger die natürliche Fruchtbarkeit der Böden beeinträchtigt.
„Wir glauben, dass Chemie dabei helfen kann Menschen mit nahrhaften, sicheren und bezahlbaren Lebensmitteln zu versorgen und Ressourcen zu sparen.“ (Webseite des deutschen Chemie-Konzerns BASF, Stand 25.02.2018)
Hier findet ihr Beispiele für erfolgreiche, gentechnik-freie und umweltschonende Anbaumethoden:
Reis ist das Grundnahrungsmittel von mehr als 3,5 Milliarden Menschen, vor allem in Weltregionen, in denen viele Menschen unter Armut und Hunger leiden. Es gibt über 100.000 verschiedene Reissorten. Wissenschaftler tüfteln stets an neuen Sorten, die höhere Erträge versprechen. Die übliche Anbaumethode ist der Nassreisanbau, bei dem die Felder geflutet werden und die Pflanzen 20-30 cm tief im Wasser stehen. Das hält Schädlinge ab und verhindert das Wachstum von Unkraut, das den Pflänzchen Nährstoffe und Licht streitig macht. Die Herstellung von einem Kilo Reis kann 3000 bis 5000 Liter Wasser verschlingen3, außerdem werden Mineraldünger und Pestizide verwendet.
Diese klassische Anbaumethode wurde jedoch gründlich auf den Kopf gestellt durch den französischen Jesuitenpater und Agraringenieur Henri de Laulanié. Auf der Insel Madagaskar entwickelte er Anfang der 1980er Jahre zusammen mit Bauern nach jahrelangen Beobachtungen in Feldversuchen eine Methode, die durch einen veränderten Umgang mit Pflanzen, Boden, Wasser und Nährstoffen höhere Reisernten bescherte. Bekannt wurde sie unter dem englischen Namen System of Rice Intensification (SRI)4.
Die SRI-Anbaumethode beruht auf dem Zusammenspiel von vier einfachen Prinzipien. Erstens werden gesunde Reispflänzchen frühzeitig und schnell in die Erde gebracht. Die vorgezogenen Setzlinge werden bereits nach 8 bis 12 Tagen statt wie sonst üblich nach einem Monat ausgepflanzt. Dabei wird besonders behutsam mit den Pflänzchen umgegangen, damit die Wurzeln keinen Schaden nehmen.
Zweitens werden die Setzlinge weniger dicht und einzeln gepflanzt – in einem Quadratmuster mit Abständen von je 25 Zentimetern statt wie sonst üblich in Büscheln auf engem Raum. So kann jede einzelne Pflanze optimal wachsen und muss nicht mit anderen um Platz, Nährstoffe und Sonnenlicht konkurrieren. Dadurch bilden die Pflänzchen ein kräftigeres Wurzelwerk und deutlich mehr Triebe.
Drittens wird der Boden mit möglichst viel organischem Material wie Kompost und Tiermist gedüngt, um ihn mit Nährstoffen anzureichern. Die Bodenstruktur wird so verbessert, der Boden kann Wasser und Nährstoffe gut halten und die Pflanze hat direkt an der Wurzel alles, was sie für ein gesundes Wachstum braucht. Zudem wird die Entwicklung der Kleinstlebewesen im Boden angeregt – auch sie sind für das Ergebnis wichtig.
Viertens wird weniger, aber gezielt bewässert: Statt die Felder dauerhaft zu fluten, wird der Boden nur feucht gehalten und die Pflanzen erhalten genau so viel Wasser, wie sie brauchen. Das Unkraut wird mit einem Gerät von Hand entfernt und wieder in den Boden eingearbeitet. Dadurch wird der Boden gut belüftet und das Wurzelwachstum und Bodenleben gefördert.5
Den Bauern in Madagaskar gelang es, ihre Reiserträge im Schnitt von 2,5 auf 8 Tonnen Reis pro Hektar zu steigern.6 Norman Uphoff von der Cornell University in den USA, der sich mit eigenen Augen in Madagaskar von den Erfolgen der Anbaumethode überzeugen konnte, hat seither mit anderen Wissenschaftlern die Erforschung und Verbreitung des SRI stark vorangebracht. Aber auch unzählige Bauern, die mit dem Reisanbau ihre Familien ernähren, haben alleine oder unterstützt von Bauern- und Hilfsorganisationen SRI ausprobiert. Sie passten die Methode an die Bedingungen vor Ort an, die sich je nach Reissorte, Boden und Klima unterscheiden. Manche Bauern verwendeten auch Hybridsaatgut oder zusätzlich Mineraldünger. SRI verlangt von den Bauern, offen für Neues zu sein. Zudem fordert die Unkrautbekämpfung von Hand viel Zeit und Arbeitskraft. Doch die Bauern können ihre Kosten senken, da sie weniger Saatgut, Wasser und Dünger einsetzen müssen. Sie sind dadurch viel unabhängiger, was gerade für arme Bauern Gold wert ist. Etwa zehn Millionen Bauern in über 60 Ländern, die meisten von ihnen Kleinbauern in Asien, Afrika und Lateinamerika, nutzen SRI7. Im Schnitt ernten sie 20-50% mehr als üblich, brauchen 90% weniger Saatgut und 20-100% weniger Mineraldünger und sparen knapp die Hälfte an Wasser.8
„Die Landwirtschaft im 21. Jahrhundert muss sich ändern. Land und Wasser werden immer knapper. Die klimatischen Bedingungen sind vielerorts ungünstig. SRI bietet Millionen benachteiligter Haushalte bessere Chancen. Niemand profitiert davon, nur die Bauern; es gibt keine Patente, Abgaben oder Lizenzgebühren.“ (Norman Uphoff)
Reis-Rekord
Der Bundesstaat Bihar im Nordosten des Landes gilt als Indiens „Armenhaus“. Die Böden sind zwar fruchtbar, doch die meisten Bauern haben nicht genug Land, um ihre Familie zu ernähren.9
Agraringenieur Anil Kumar Verma erinnert sich noch gut daran, wie er nach Bodhgaya kam, um die Menschen von SRI zu überzeugen: „Ich war erstaunt von dem geringen Interesse. ‚Dieser Mann ist gekommen, um uns zum Narren zu halten. Wir bauen seit Generationen Reis an – wir wissen, wie das geht!’, empörte sich ein Bauer. Erst als ich schon gehen wollte, kam Kunti Devi zu mir und sagte, sie wolle es probieren.“10 Die Bäuerin kann weder lesen noch schreiben. Mit Mann und Kindern bebaut sie 0,6 Hektar Land. „Anil Verma erklärte, dass 2 Kilo Saatgut ausreichen würden. Bisher brauchten wir dazu 40 Kilo, das Zwanzigfache. Im ganzen Dorf war kein einziger Bauer bereit, diese Methode auszuprobieren“, berichtet sie.
Sie lernte auch, wie wichtig es ist, die Setzlinge vorsichtig zu pflanzen, damit die Wurzelhaare intakt bleiben. „Im konventionellen Anbau kann man oft beobachten, dass ein Reisfeld in den ersten Tagen nach dem Verpflanzen gelblich schimmert. Der Farbton entsteht, weil die Wurzeln beschädigt wurden. Die Pflanze braucht dann bis zu 15 Tage, um sich von den Verletzungen zu erholen“, so der Agraringenieur. Als Kunti Devi ihr erstes SRI-Reisfeld bepflanzte, erntete sie zunächst Spott von den Nachbarn. Das Feld wirkte kahl, da es weniger Setzlinge enthielt. „Als sich dann die ersten Halme entwickelten, wurden die Leute in unserem Dorf sehr aufgeregt“, berichtet Devi.11 Im ersten Jahr erntete sie 9 Tonnen Reis auf den Hektar gerechnet, viermal mehr als zuvor.
Plötzlich waren weitere 100 Frauen bereit, ihr Glück zu versuchen. Ganze 12,5 Tonnen pro Hektar ernteten sie feierlich im Beisein von Wissenschaftlern und Vertretern der Regierung.12 „Es sprach sich auch schnell in den Nachbardörfern herum. Heute finden Sie im ganzen Umkreis niemanden, der nicht SRI praktiziert“, sagt die mutige Vorreiterin.13
2012 wurde in Bihar auf 350.000 Hektar SRI-Reis angebaut, der Bundesstaat erzielte mit 7,2 Millionen Tonnen die höchste Reisernte seiner Geschichte. Den Vogel schoss Bauer Sumant Kumar im kleinen Ort Darveshpura ab, der mit 22,4 Tonnen Reis pro Hektar den bisherigen Weltrekord von 19,4 Tonnen eines chinesischen Agrarwissenschaftlers knackte – ohne Kunstdünger und Pestizide, wenn auch mit Hybridsaatgut.14 Doch schon 2014 wurde er von einem Bauern im Bundesstaat Tamil Nadu übertroffen, der 23,8 Tonnen SRI-Reis pro Hektar erntete. Wichtig für die Menschen sind allerdings nicht solche Rekordernten, sondern dass sie mithilfe von SRI ihre durchschnittlichen Erträge verbessern können, betont Norman Uphoff.15
Berichte von Ernterekorden im Nassreisanbau durch SRI machten schnell die Runde. Zunächst begannen auch Bauern im Bergland Indiens oder Kambodschas, die ihre Reisfelder in steilen Lagen ohnehin nicht fluten konnten, die Prinzipien anzuwenden. „Was dem Reis gefällt, klappt doch sicherlich auch mit anderen Pflanzen“, dachten sich findige Bauern und begannen auf eigene Faust, die Methode mit allerlei Feldfrüchten zu erproben. So dauerte es nicht lange, bis auch Weizen, das weltweit bedeutendste Getreide, an der Reihe war. 2006 wagten indische Bauern den Versuch und wurden mit hohen Ernten belohnt – das System of Wheat Intensification (SWI) war geboren.
Wie beim Reis wird deutlich weniger Saatgut benutzt, rund 25 Kilo Weizenkörner statt der sonst üblichen 180 Kilo pro Hektar. Die Samen werden nicht breit ausgestreut, sondern von Hand in Fleißarbeit einzeln in Reihen mit bis zu 20 cm Abstand gesät. Die kräftigen Pflanzen tragen nicht nur mehr Korn, sondern bringen auch mehr Stroh ein, das die Bauern an ihre Tiere verfüttern können. Von Bauer zu Bauer verbreitete sich das SWI, auch über Grenzen hinweg. Im indischen Bundesstaat Bihar wurden in der ersten Versuchssaison 2008-2009 gut 3,6 Tonnen Weizen pro Hektar statt der üblichen 1,6 Tonnen geerntet. 2012 wurde auf 180.000 Hektar Weizen nach der Methode angebaut – 2016 ernteten Bauern in Bihar bereits auf 300.000 Hektar SRI-Weizen mit im Schnitt 4 bis 5 Tonnen Ertrag pro Hektar. Auch in Nepal, Afghanistan und Mali erzielten Weizenbauern gute Erfolge.16
Aber auch bei Mais, Hirse, Senf oder Auberginen bis hin zu Zuckerrohr bringt die Methode, die allgemein als System of Crop Intensification (in etwa: Pflanzenintensivierungssystem) bezeichnet wird, hohe Ernten und kräftige Pflanzen hervor. Nitish Kumar, ein Bauer aus Bihar, knackte 2012 gar den Kartoffel-Weltrekord, den niederländische Bauern mit 45 Tonnen je Hektar hielten: Er holte stolze 72,9 Tonnen vom Feld. Durch die weiten Abstände wuchsen die Kartoffeln prächtig, manche Knollen wogen fast ein Kilo.17 „In den Jahren zuvor brachte die Landwirtschaft nicht viel ein“, sagt Nitish. „Nun hat sich mein ganzes Leben verändert. Ich kann meine Kinder zur Schule schicken und mehr für Gesundheit ausgeben. Mein Einkommen hat sich stark erhöht.“ Ein Jahr später erntete sein Kollege Rakesh Kumar gar 109 Tonnen pro Hektar.18
„Die Wirkung des System of Rice Intensification hängt mehr von Ideen als von Inputs ab. Die Umsetzung der Prinzipien in die Praxis ermöglicht es Bauern, die zur Verfügung stehenden Ressourcen ergiebiger einzusetzen. Sie erhalten höhere Erträge und robustere Pflanzen, indem sie einfach nur einige Anbau-praktiken verändern. Immer mehr wissenschaftliche Studien stützen diese Prinzipien und Praktiken.“ (Norman Uphoff, 09.05.2017)
Schädlingsbekämpfung: Mit Gift und Gentechnik gegen unerwünschte Pflanzen und Tiere...
Zwei Plagen können ganze Ernten vernichten und Landwirten das Leben erschweren: Beikräuter und Pflanzenschädlinge. Im Volksmund Unkraut genannt, handelt es sich um Pflanzen, die bei Bauern nicht gern gesehen sind, da sie der Feldfrucht Platz, Nährstoffe, Licht und Wasser rauben. In der konventionellen Landwirtschaft werden unerwünschte Pflanzen mit Chemie (Herbiziden) bekämpft. Zudem werden Pflanzen gentechnisch verändert, um sie widerstandfähig (resistent) gegenüber Herbiziden zu machen. So gibt es z.B. Gentechnik-Soja, die gegen das Herbizid Glyphosat resistent ist. Diese wird vor allem in den USA oder Lateinamerika im großen Stil angebaut und kräftig besprüht: Das Unkraut stirbt ab, der Soja kann das Gift nichts anhaben. Es belastet jedoch Böden, Gewässer und die menschliche Gesundheit.
Die Agrarkonzerne argumentieren, dass durch Gentechnik insgesamt weniger Chemie benötigt wird, doch die Natur macht einen Strich durch diese Rechnung: In den Ländern, in denen schon länger Gentechnik und Gift genutzt werden, bilden Unkräuter immer öfter Resistenzen. In den USA sind mittlerweile fast 40 Millionen Hektar Land in 36 Bundesstaaten von Unkräutern befallen, gegen die Glyphosat nicht mehr wirkt.19Die Landwirte greifen zu mehr und stärkeren Ackergiften, um den Superunkräutern beizukommen.20
Auch tierische Pflanzenschädlinge wie Käfer, Läuse oder Fliegen behindern das Wachstum von Nutzpflanzen oder töten sie ganz ab, indem sie Teile der Pflanze fressen oder sich in ihr einnisten. Diesen Schädlingen wird häufig mit Chemie (Insektiziden) der Garaus gemacht – doch zugleich auch zahlreichen nützlichen Tierchen.
… oder mit „Push-Pull“ zwei Plagen mit einer Klappe schlagen
Doch es gibt auch Anbaumethoden, die Beikräuter und Schädlinge ohne Gift kontrollieren. Davon profitieren nicht nur arme Bauern, die kein Geld für teure Pestizide haben, sondern auch die Umwelt. Bauern in Afrika, die Mais und Hirse anbauen, kennen zwei mächtige Feinde: den Stängelbohrer und Striga, ein lila blühendes, schmarotzendes Unkraut, das direkt die Maiswurzeln anzapft und der Pflanze Wasser, Nährstoffe und Energie entzieht. Auch der Stängelbohrer, ein Verwandter des europäischen Maiszünslers, ist ein übler Geselle: Die Motte legt ihre Eier in Mais und Hirse ab. Die geschlüpften Larven fressen die Blätter an, bohren sich in den Stamm und schwächen die Pflanze. Hier kommt die Push-Pull-Methode ins Spiel – mit eigentlich ganz simplen Mitteln.
Genial einfach: erst vertreiben, dann anlocken
So funktioniert Push-Pull: Zwischen Mais oder Hirse wird Desmodium gepflanzt, eine Pflanze, die einen Duft verströmt, den der Stängelbohrer gar nicht ausstehen kann und der ihn vertreibt („push“ - [ab]stoßen). Auch das Unkraut Striga fühlt sich in der Nähe von Desmodium nicht wohl, das Unkrautwachstum wird also auf natürliche Weise unterdrückt. Außerdem wird um die Maisfelder herum Napiergras gepflanzt. Es übt mit seinem Duft eine unwiderstehliche Anziehungskraft („pull“ - [an]ziehen) auf den Stängelbohrer aus. Die Weibchen fliegen förmlich auf das Gras, das auch Elefantengras genannt wird, und legen ihre Eier in den Halmen ab. Schlüpfen die Larven, verenden sie im klebrigen Schleim, den das Gras absondert.21
Die Methode, die vom Insektenforschungsinstitut icipe in Kenia entwickelt wurde, hat großartige Nebeneffekte: Desmodium ist eine Hülsenfrucht (Leguminose), die an ihren Wurzeln über Knöllchenbakterien verfügt, die Stickstoff aus der Luft nehmen und im Boden speichern. Die Bodenfruchtbarkeit wird so erhöht – Stickstoff ist für die Landwirtschaft äußerst wichtig und wird sonst über teuren Kunstdünger zugeführt. Außerdem können die beiden Push-Pull-Helden Napiergras und Desmodium verfüttert werden, die Kühe geben durch das gute Zusatzfutter mehr Milch. Mit ihrem Mist liefern die Tiere wiederum Dünger für die Felder – ein in sich perfekt geschlossener Kreislauf ohne Chemie und künstlichen Dünger. Natur pur sozusagen. Haben die Bauern von dem schnell wachsenden Napiergras etwas übrig, können sie es verkaufen.
Push-Pull hat sich bewährt und wurde 2017 allein in Ostafrika von über 157.000 Bauern angewandt.22 Doch dabei soll es nicht bleiben, sagt Professor Khan vom icipe, der an der Entwicklung der Methode maßgeblich beteiligt war und mit seinen Kollegen 400 Gräser testete, bevor sie das Napiergras wählten: „Mein Ziel ist es, mindestens 10 Millionen Menschen mit der Technologie zu erreichen und die Wissenschaft, die dahinter steckt, auf andere Anbausysteme und Agrarökosysteme auszudehnen.“23
Seit 2012 gibt es nun auch eine neue Push-Pull-Variante, die besonders gut für Länder geeignet ist, in denen große Hitze herrscht und es oft lange nicht regnet. Dabei kommen zwei dürre-tolerante Desmodium-Sorten und Brachiaria-Gras zum Einsatz. Dem Gras macht Trockenheit nichts aus, es ist weniger krankheitsanfällig als Napiergras und mundet den Tieren vorzüglich.24 Diese Variante hilft auch gegen eine neue Plage, die Maisernten in Afrika bedroht: den Herbst-Heerwurm. Die 2016 eingewanderte Raupe ist ein wahrer Nimmersatt. Sie verwandelt sich in einen Falter, der schnell große Strecken zurücklegt. Das Weibchen legt hunderte Eier auf einmal. Der Herbst-Heerwurm hat sich schon in 38 Ländern in Afrika verbreitet. Experten warnen, er könne bis zur Hälfte der Maisernten zerstören. Gift hilft kaum: Hat der Schädling über Nacht zugeschlagen, ist es schon zu spät.25 Die gute Nachricht: Bauern, die mit der neuen Push-Pull-Variante arbeiten, bleiben vom Heerwurm weitgehend verschont und sie erzielen 2,7 Mal höhere Erträge als auf Maisfeldern ohne die Helferpflanzen.26
Sichere Ernten statt Ernährungsunsicherheit: Push-Pull in Westkenia
Vor zehn Jahren noch war der Maisanbau für Kleinbauer Vitalis Ayara im Westen Kenias eine Plackerei. Obwohl er viele Tage Unkraut jätete, gewann Striga immer die Überhand und nahm den Maispflanzen die Nährstoffe, die sie für das Wachstum so dringend benötigten. Der Stängelbohrer gab ihnen dann den Rest, seine Larven höhlten die Maisstängel aus. „Der Mais konnte nicht wachsen und eine gute Ernte liefern“, klagt Vitalis. Der Ertrag reichte kaum aus, um die elfköpfige Familie zu ernähren – geschweige denn, um etwas zu verkaufen. Vitalis musste als Gelegenheitsarbeiter auf Farmen arbeiten, für den Schulbesuch der Kinder fehlte das Geld und die Familie ging oft hungrig zu Bett.
2006 hörte Vitalis erstmals von Push-Pull, 2007 bepflanzte er eine Fläche von 15 mal 20 Metern mit Mais und Bohnen nach der Methode. Am Ende der ersten Anbausaison erntete er doppelt so viel Mais wie zuvor, nach der zweiten Saison war es nochmals mehr. Nach drei Jahren hatte Vitalis genug Geld gespart, um sich eine Kuh zu kaufen, die er mit Desmodium und Napiergras fütterte. Diese schenkte der Familie zwei Kälber und regelmäßig Milch zum Trinken und Verkaufen. Zu Beginn der Regensaison 2013 bepflanzte Vitalis ein zweites, größeres Stück Land nach einer weiterentwickelten Push-Pull-Methode – dieses Mal mit einer dürreresistenten Desmodiumsorte und Brachiaria-Gras. Insekten und Pflanzenkrankheiten bleiben seinem Feld fern. Mais, Bohnen und Viehfutter gedeihen prächtig, Vitalis kann sich immer auf eine gute Ernte verlassen: „Heute gibt mir mein Hof alles, was ich zum Leben brauche.“27
Beispiele wie SRI oder Push-Pull zeigen, dass Landwirtschaft auch ohne Gentechnik, Pestizide und Kunstdünger ertragreich sein kann. Wichtig ist die Vielfalt: Kleinbäuerliche Höfe, die mehrere Feldfrüchte anbauen, sind sowohl auf die Fläche als auch auf den Energieeinsatz bezogen produktiver als große Betriebe und Monokulturen. Sie werden von der Agrarforschung dennoch seit Jahrzehnten vernachlässigt, wie schon der Weltagrarbericht von UN und Weltbank feststellte.28
Auch in Industrieländern bringt der Ökolandbau, der auf chemisch-synthetische Pestizide, Düngemittel und Gentechnik verzichtet, Bauern und der Umwelt viele Vorteile gegenüber der konventionellen Landwirtschaft. Das Rodale Institute in den USA vergleicht die Anbausysteme seit 1981: Auf manchen Feldern bauen die Forscher Mais und Soja konventionell an, seit 2008 kamen dort auch Gentechnik-Pflanzen hinzu. Gedüngt wird mit Kunstdünger. Andere Flächen werden ökologisch bewirtschaftet: Teils wird organischer Dünger verwendet, teils Leguminosen zur Gründüngung. Das Ergebnis: Die Erträge der Bio-Methoden können problemlos mithalten. Zudem können Landwirte, die auf Bio umstellen, höhere Gewinne verzeichnen. Wenn es wenig regnet, bringt der Ökolandbau beim Mais sogar 31% mehr Ertrag, während Gentechnik-Sorten, die laut Hersteller dürre-resistent sein sollen, nur 6,7 bis 13,3% mehr erbringen als normale Sorten. Weitere Pluspunkte: Laut dem Institut kommen Mais und Soja im Ökoanbau besser mit Unkräutern auf dem Feld zurecht und die Ökofelder wiesen mehr organische Bodensubstanz auf, wodurch der Boden Wasser viel besser halten kann.29
Der Rodale-Vergleich zeigt auch, dass im Ökolandbau 45% weniger Energie pro Hektar Fläche verbraucht wird als in der konventionellen Landwirtschaft. Zwar brauchen auch Biobauern Kraftstoff für den Dieselantrieb ihrer Maschinen, doch im konventionellen System muss vor allem für die Herstellung von Stickstoffdünger viel Energie eingesetzt werden – mit entsprechendem Ausstoß an Klimagasen. Auch bezogen auf die hergestellte Menge verschlingt der Ökolandbau 28% weniger Energie, verursacht 40% weniger Treibhausgase und trägt zur Humusbildung bei, statt Böden auszulaugen.30
Die wohl umfassendste Studie zum Ertrag, für die Forscher der University of California in Berkeley 115 Studien mit 1.071 direkten Vergleichen auswerteten, zeigt ebenfalls, dass sich die Bioerträge sehen lassen können. Zwar ernten Biobauern bei Getreide, Gemüse und anderen Nutzpflanzen im Schnitt 19% weniger. Werden aber Methoden wie Fruchtwechsel und der Mischanbau mehrerer Feldfrüchte genutzt, schrumpft die Lücke auf 8-9%. Bei Hülsenfrüchten wie Bohnen und Linsen besteht kaum noch ein Unterschied. Zudem könnten die Öko-Erträge laut den Wissenschaftlern noch höher sein, wenn mehr Geld für die Erforschung dieser Methoden da wäre: Bislang ist es nur ein Bruchteil der von Regierungen vergebenen Mittel.31 Und: Das nötige Know-How muss verbreitet werden, damit noch mehr Landwirte – vor allem in armen Ländern – die einfachen, aber wissenschaftlich ausgeklügelten Methoden anwenden können.
1) Deutscher Bauernverband: Situationsbericht 2017/18, Betriebe und Betriebsgrößen
2) The State of Food and Agriculture, FAO, 2014
4) Cornell University: Origin of the System of Rice Intensification (SRI)
5) Cornell University: SRI Principles;
6) Cornell University: Origin of the System of Rice Intensification (SRI)
8) Cornell University: System of Rice Intensification FAQs
10) AgriCultures Network: SRI in Bihar: From one to 350,000
11) Deutschlandradio Kultur: Wundersame Reisvermehrung, 12.02.2014
12) AgriCultures Network: SRI in Bihar: From one to 350,000
13) Deutschlandradio Kultur: Wundersame Reisvermehrung, 12.02.2014
14) AgriCultures Network: SRI in Bihar: From one to 350,000
18) taz: Bihars kleine Ökorevolution
20) Then/Boeddinghaus: Superweeds - Resistente Unkräuter bedrohen die Ernte, 2014
21) icipe: How Push-Pull Works
22) icipe: Push-Pull – Adoption
23) icipe: News – Major international prize to push-pull lead scientist, icipe’s Prof Zeyaur Khan
24) icipe: Climate-smart push-pull: resilient, adaptable conservation agriculture for the future
25) Herbst-Heerwurm bedroht die halbe afrikanische Maisernte, Deutsch Welle, 24.11.2017
27) icipe: Stories of our Success: positive outcomes from push-pull-farming systems, 2013
28) Weltagrarbericht: Bäuerliche und industrielle Landwirtschaft
30) Rodale Institute. The Farming Systems Trial: 30-year Report
31) Berkeley News: Can organic crops compete with industrial agriculture?, 09.12.2014